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Rabryka // Görlitz

Interview: Christian Thomas, Geschäftsführer des Second Attempt e.V. /// Zentrum für Jugend- und Soziokultur RABRYKA im Werk I. Görlitz /// https://www.rabryka.eu

Autorin: Juliane

Wichtigste Werte: Freundschaft, Wirksamkeit, Gemeinwohl

Anne und ich kommen im Hof der Rabryka an. Das Gelände ist beeindruckend. Ein altes Fabrikgelände voller Leben. Christian Thomas hat Kulturmanagement in Görlitz studiert und ist seit letztem Jahr Geschäftsführer vom Second Attempt e.V., der mit seiner Vision das Dach bildet. Darunter gibt es Handlungsfelder: Bildungsarbeit, Kulturarbeit und Integrationsarbeit mit dazugehörigen Projekten. Die Rabryka ist die räumliche Verortung. Die Vision des Vereins ist es, für all die Menschen den Nährboden für eine aktive Stadtgesellschaft zu schaffen, die sich beteiligen möchten.

Der Verein hat über 60 Vereinsmitglieder. Die Mitglieder wählen sieben Vorstände, wobei das jüngste Vorstandsmitglied 19 Jahre alt ist. 20 Personen sind angestellt, die nicht unbedingt Vereinsmitglieder sind. In den Projekten bringen sich zusätzlich noch etwa 100 Engagierte ein. Das Alter der Mitglieder reicht von Jugendlichen (dem A-Team) bis zum Buchhalter, der 65 Jahre alt ist. Senior:innen sind im Stadtteilgarten und im Reparatur Café mit dabei. Insgesamt gesehen ist das Team eher jung, im Schnitt Anfang 30 Jahre alt.




Christian selbst ist 2013/2014 in den Second Attempt Verein eingetreten. Das Team empfand er als großartig und er hat durch das Eintauchen in die Görlitzer Stadtgesellschaft gespürt, was plötzlich alles möglich war. „Ich habe maximale Selbstwirksamkeit gefühlt“, erzählt er uns „und deshalb immer Lust gehabt, weiter zu machen.“ Wie es um die Selbstwirksamkeit seiner Kolleg:innen steht, fragen wir ihn. Das schnelle Wachstum des Vereins habe auch zu Wachstumsschwierigkeiten geführt. „Wir reden heute noch immer wieder darüber: Wer entscheidet eigentlich was im Verein? Welche Rollen haben Vereinsmitglieder? Welche Rolle haben die Mitarbeitenden? Welche Rolle haben die Leute, die die Projekte gestalten und Ideen hierher bringen?

Grundsätzlich ist es aber immer so, dass die Leute, die zur Rabryka kommen und Ideen haben und umsetzen auch mitentscheiden, wohin sich der Verein entwickelt. Die Autonomie der Projektgruppen ist dem Verein am wichtigsten. Sie sollen so wenig Hürden bekommen wie möglich, um ihre Ideen umzusetzen. Die Rolle des Vereins? Maximal supporten.


„Ziel ist es immer, die oberste Ebene auf der Beteiligungspyramide zu erreichen, die Selbstverwaltung.“

Wichtig beim Second Attempt e.V.: von unten nach oben agieren. Der Vorstand bestimmt inhaltlich nicht viel mit, ist eher ein Kontrollgremium. Der Vorstand schaut darauf, dass die Geschäftsführung, d.h. Christian die Prozesse gut im Blick behält und gibt dazu sein Feedback. „Ich schaue, dass die Mitarbeitenden ihre Ressourcen maximal ausschöpfen können. Wie ist der Arbeitsplatz? Gibt es Weiterbildungen, die wir noch organisieren können?“

Der Second Attempt e.V. nutzt als digitales Büro Podio. Das nutzen vor allem die Mitarbeitenden. Ehrenamtliche entscheiden in ihren Gruppen, wie sie kommunizieren wollen (What’s App, Telegramm,…). Jedes Jahr im März ist die Vereinsklausur. Im November/Dezember findet die Mitgliederversammlung statt.

Viel Zeit wird in Persönlichkeitsentwicklung investiert. „Daran arbeiten wir alle. Daran wachsen wir auch durch unsere Feedback Gespräche."


"Je stärker wir in unserer Persönlichkeit werden, umso klarer können wir die Projekte gestalten und wohin wir eigentlich wollen“,

erklärt uns Christian. Nicht von einander zu trennen sei die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und die Entwicklung des Projektes.




Es gibt Feedback - Gespräche. Intern heißt das Mitarbeiter:innen Gespräche. Einmal im Quartal, mindestens einmal im halben Jahr. Fragen sind dann: Wie geht es Dir gerade? Gibt es Themen, die Dich beschäftigen? Gibt es Stressoren, auf die wir achten müssen?

Wir fragen Christian, wer mit ihm ein Mitarbeitergespräch führt und sind überrascht, dass es niemand bisher getan hat.

„Einmal im Monat gibt es eine Team Mini Supervision. Dort reden wir drüber, wie unser Monat war. Wir zeichnen eine Monatskurve auf. Was waren Highlights? Was waren Downlights? Müssen wir was an der Organisationsstruktur ändern, damit es uns besser geht? Gibt es Konflikte? Gibt es Klienten, Leute aus den Projekten, über die wir nochmal reden müssen? Ich finde es wirklich wichtig, sich die Zeit zu nehmen im Team zusammen zu kommen, sich zuzuhören, über Dinge zu reden.“

Zwischenmenschliche Konflikte, die groß werden, gibt es selten. Doch: „Dinge, die wir nicht zeitnah ansprechen, können sich verfahren. Die Spannungen sind dann spürbar, liegen in der Luft. Es gab im letzten Jahr eins…zwei Konflikte, in die ich auch involviert war, für die ich mir keine Zeit genommen habe, sie anzusprechen. Das hat unsere Teamstimmung beeinflusst.Geholfen hat, sich zu überwinden, sich gemeinsam hinzusetzen und sich gegenseitig zu fragen, was eigentlich los ist. Die Person anzusprechen, ist das Schwierigste. Danach war die Gesprächsatmosphäre sehr cool und wir haben gegenseitig voneinander gelernt.“

Christian erzählt uns, dass es auch Dinge an seinem Job gibt, die ihn frustrieren. Als er angefangen hatte, war er noch Kulturarbeiter. Jetzt investiert er 20h in der Woche für Verwaltung. Wenn er aber nur Verwaltung macht, dann entwickelt er sich auch nicht mehr weiter. Das merkt er verstärkt in letzter Zeit. „Ich habe ein Bedürfnis mich stärker zu entwicklen und weiß da gerade nicht, ob dafür noch der Rahmen hier vorhanden ist.“

Als Christian uns das zum Schluss erzählt, muss ich an viele Beispiele aus meinem Freundes- und Familienkreis denken. Chef zu sein kann schön sein, aber auch fordernd und aufopfernd. In unserer working evolutions GmbH gibt es dieses Ungleichgewicht nicht. Unser formaler Geschäftsführer Heiko hat die gleichen Rechte und Pflichten wie Monia, Reno, Anne und ich auch. Wir teilen die Verantwortung. Dadurch wird Raum frei, um zu 100% selbstwirksam zu sein. Die Freiheit musste ich aber auch zu händeln wissen. Ich arbeite täglich daran.

Wir verlassen die Rabryka wieder. Es ist später Nachmittag. Gerade findet ein Löffelschnitzkurs im Freien statt. Im Garten ist auch ordentlich was los. Kinder rennen über das Gelände. Ich sehe Jugendliche und Erwachsene hier und dort, die sich unterhalten. Jemand repariert mit Mörtel und Steinen eine kleine Mauer.Im Hintergrund die alte Industrie und mehrere superprofessionelle Graffiti. Die alte Görlitzer Hefefabrik - jetzt Rabryka - ist voller Leben.


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