top of page

Weichaer Hof // Weicha

Interview: Hagen Schmidt, Weichaer Hof. Weicha (Weißenberg) ///

Praxis, Ferienwohnungen, Gastronomie, Reitschule: https://www.weichaer-hof.de

Autorin: Juliane


Anne und ich machen uns auf den Weg zum Weichaer Hof unweit von Weißenberg. Beim Heranfahren an das Gehöft lesen wir auf der rechten Straßenseite „ Jeden Freitag ab 17 Uhr. Hausgemachte Pizza und Pasta“ und „Diesen Sonntag Fisch-Buffet“. Cool, denken wir. In vielen Dörfern gibt es mittlerweile keine Gastronomie mehr. Hier in Weicha schon. Wir führen unser Interview in der Praxis von Hagen Schmidt und seiner Frau Sonja Fritsch. Sie ist Psychologin und in vielen ostsächsischen Behindertenwerkstätten tätig. Hagen Schmidt ist Familientherapeut und Diplomsozialpädagoge.


Er berät neben Privatpatienten viele Einrichtungen im sozialen Bereich, Institutionen in Kommunen wie Kindertagesstätten und auch schwierige Fälle beim Jugendamt nach Paragraph 35a mit seelischer Behinderung, „die so durchs Raster fallen“.

Vor etwa 20 Jahren hat das Ehepaar den Gebäudekomplex in Weicha als Ruine

übernommen. Angefangen mit einer psychologischen familientherapeutischen

Praxis, gehören heute Ferienwohnungen, Gastronomie und eine Reitschule zum

Gesamtbetrieb. Dem gebürtigen Görlitzer und der gebürtigen Radebergerin war

schon vor dem Umzug aufs Land klar, dass sie neben der Praxis-Tätigkeit etwas für die Regionalentwicklung tun wollen.


Vor etwa zwei Jahren hat Hagen Schmidt angefangen über persönliches Budget

eine ambulante Betreuung aufzubauen, hauptsächlich für psychisch Kranke,

„die in klassisch ambulant betreuten Wohnformen nicht funktionieren würden.

Sie brauchen verstärkt individuelle Betreuung mit mehr Zuwendung und Links-

& Rechts – Möglichkeiten“, so Hagen Schmidt. Insgesamt zählt der Weichaer Hof 22 Mitarbeiter (mit Pauschalkräften), darunter sind fünf Menschen mit einer Schwerbehinderung. Seit 1. Juli 2019 ist der Weichaer Hof als Inklusionsbetrieb anerkannt.


Sonderformen von Arbeit werden geschaffen. Seit ein paar Jahren arbeitet ein junger Mann auf dem Weichaer Hof, der stationär in einer betreuten

Einrichtung wohnt. Zusammen mit dieser hat Hagen Schmidt die

Behandlungsmethode entwickelt: drei Tage in der Woche Behindertenwerkstatt,

zwei Tage 1:1 Betreuung im Weichaer Hof.


„Dadurch bekäme er eine Art Grundnormalisierung, im klassischen Werkstattbetrieb wäre er schon lange rausgeflogen. Durch dieses Wechselspiel und die individuelle Betreuung erlangt er langfristig die Fähigkeit für den dritten Arbeitsmarkt. Das kostest zwar erstmal, aber langfristig gesehen, ist es ausgesprochen sparsam. Dahinter steht die Idee im Sozialbereich Langfristigkeit zu etablieren.“

Hagen Schmidt berichtet uns von einigen Patienten, die nicht ins Raster

passen: „Bei vielen reicht Reden nicht aus. Es braucht eine Tagesstruktur. Es

braucht eine Anerkennung, Wertschätzung und praktisches Tun. Und zwar unter

relativen Normalbedingungen.“


Wir fragen Hagen Schmidt nach seiner Motivation. Der Bedarf sei da. Er hat

eine Grundrichtung von Patienten, wo die vorherrschende Hilfestruktur nicht

passt. „Wo es letztendlich keine Angebote gibt, die sinnvoll sind, dann macht es

ja Sinn, Angebote zu schaffen.“ Dahinter verberge sich auch die Grundidee der

Praxis, nämlich vom Kunden her zu denken.


„Ich gebe Arbeit. Es macht Sinn, sie so zu gestalten, dass derjenige, der sie nimmt, sie auch nehmen kann.“

#Organische Vernetzung

Meetings oder Arbeitsberatungen würden zu großer Verunsicherung führen. Es gibt zufällige gemeinsame Frühstücke, die sich meistens auf Mittwoch und Donnerstag konzentrieren. Dort kommen auch manchmal Mitarbeiter vorbei, die gerade nicht arbeiten sind. Wenn er etwas formal ansetzt, wird es ganz häufig etwas Krampfiges, Anstrengendes. Wenn der Personenkreis und die Bereiche sehr unterschiedlich sind, erhöhe sich dieser Effekt. „Wenn es passiert, dass man zufälligerweise auf Arbeitsthemen kommt und die nebenbei bespricht, dann vernetzt sich das. Das funktioniert dann organisch.“


„Wenn es private Angelegenheiten gibt, die mir erzählt werden, dann gibt es auch links und rechts ein paar Lösungsvarianten oder Zusatzangebote, die nichts mit Arbeit zu tun haben. Das würden die Mitarbeiter niemals machen, wenn nicht ein Grundvertrauen da wäre. Ich denke, da ist etwas Gewachsenes da. Ich denke, dass es in einem Laden wie unseren nicht

nur um Arbeit, sondern auch um Leben geht.“


#Förderung individueller Stärken und Fähigkeiten

„Fördern hat auch immer etwas mit fordern zu tun. Das ist sei ja nicht bequem,

sondern auch anstrengend für die Mitarbeiter“, so Hagen Schmidt. „Es ist ein beidseitiges Geschäft."


"Nicht: Da ist jemand, der fördert jemanden. Das wäre eine klare Hierarchie. Sondern jemandem wird eine Möglichkeit gegeben. Sie zu nutzen liegt bei jedem selbst. Die Verantwortung liegt bei jedem selbst. Das ergibt eine ganz andere Verlass-Struktur.“

Im Anschluss an unserer Gespräch zeigt uns Hagen Schmidt die Ferienwohnungen, die Gastronomie und die neue Bibliothek.





149 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page