Interview: Veronika Kirchmaier & Thomas Pilz, Kulturfabrik MEDA Mittelherwigsdorf /// Kultur, Kino, Kunst, Gemeinschaft, Workshops /// www.kulturfabrik-meda.de
Autorin: Anne
WERTE: Vertrauen, Sinn, Lernen
Juliane und ich fahren nach Mittelherwigsdorf, mitten ins Dreiländereck. Es regnet, es ist kalt und grau an diesem Tag. Auf dem Parkplatz der Kulturfabrik warten wir noch den Schauer ab. Als wir das imposante Haus auf dem Hügel betreten, erwartet uns ein Kontrastprogramm: was gerade noch kalt, ungemütlich und grau war, ist drinnen warm, gemütlich und unglaublich bunt.
Thomas Pilz ist schon immer Mittelherwigsdorfer. Schon als Kind bewunderte er dieses große, helle, architektonisch besondere Haus - "sein Schloss", wie er es damals nannte. Das Gebäude war enteigneter Privatbesitz und wurde Anfang der Neunziger durch Rückübertragung vor dem Abriss gerettet. 1995 kaufte Thomas Pilz das Haus, ohne wirklich zu wissen, wie die weitere Nutzung aussehen würde. Er arbeitete damals noch im Multikulturellen Zentrum in Zittau, kreativ konnte er sich zwar ausleben, doch die Grenzen legte am Ende immer die Stadt fest. Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit wuchs. Dann lernte er Veronika Kirchmaier kennen und sie verliebten sich. Veronika Kirchmaier kam aus Wien und blieb in Mittelherwigsdorf, um gemeinsam mit Thomas Pilz ein gemeinschaftliches Wohn- und Kulturprojekt aufzubauen.
"Es gab keinen festgelegten Plan - die Organisation entwickelte sich organisch. Doch eins war klar: wir folgten immer unserer Leidenschaft."
Am Anfang galt es, das Gemeinschaftsleben in der Praxis auszuprobieren, für das Thomas Pilz politisch und ideell brannte. Natürlich ist dieses Leben eine große Projektionsfläche für Sehnsüchte aller Art - doch das Leben in der Gemeinschaft ist ein relativ normales. Die Fluktuation der Bewohner:innen (zurzeit 11 Personen von 11 bis 67 Jahren) hat meistens persönliche Gründe: unter anderem die Liebe, die einen ja bekanntlich überall hinverschlägt.
Die Verantwortungsbereiche, zum Beispiel der Garten oder die ökologische Kläranlage, mischen sich deshalb stetig. Verteilt wird die Verantwortung nach Kompetenzen. Es gibt keine starren Unternehmensstrukturen. Menschen aus der Gemeinschaft, aus dem Dorf oder von außerhalb arbeiten hier in unterschiedlichsten Arbeitsformen zusammen. Das schafft interessante Effekte: Alle betreten irgendwie Neuland und haben das Gefühl, nicht mehr in die alten Arbeitsstrukturen zu passen, unabhängig vom Fachkräftemangel.
Unser Konzept ist das Leben als komplexer Vorgang. Dazu gehört arbeiten, die Liebe, wohnen, essen, trinken, die Kultur, die Natur etc., ohne diese Bestandteile immer wieder zu trennen. Wir nehmen uns seit 15 Jahren regelmäßig Zeit, uns gegenseitig zu coachen. Somit haben wir die Gelegenheit, uns mit Themen und Herausforderungen zu beschäftigen. Das ist unglaublich bereichernd und schafft die Möglichkeit, als ganzer Mensch in dem was man tut aufzutreten, erzählt Thomas Pilz.
"Sich als Mensch zu zeigen, auch mit den persönlichen Schattenseiten, die wir für die Gesellschaft so oft aussortieren, ist ein großes Geschenk. Dadurch gelingt es, die Dinge anzusprechen und zu sehen, die nicht gut laufen."
Im Menschsein dürfen, im Offen Sein und im respektvollen Umgang liegt die Verbundenheit dieser Organisation, ohne sich nach außen hin abgrenzen zu müssen.
Wir und die Menschen, die hierherkommen, wollen miteinander wachsen, lernen, sich weiterzuentwickeln. Wir haben es geschafft, dass unsere Gemeinschaft bereitwillig und voller Neugier an unseren regelmäßigen Treffen teilnimmt, ohne diese als Pflichtveranstaltung zu sehen, so Thomas Pilz.
Wir treffen uns einmal in der Woche zum Plenum für organisatorische Themen und einmal die Woche zum Gemeinschaftstreffen, bei dem es um Persönliches geht. Drei mal im Jahr treffen wir uns über einen längeren Zeitraum, zur Intensivzeit, bei der verschiedenen Themen besprochen, untersucht und bearbeitet werden. Dabei holen wir uns eine Begleitung von außen, um einen neutralen Blick auf unsere Entwicklung zu erlangen, erzählt Veronika Kirchmaier.
Das Entscheidungsprinzip ist Konsens minus 1. Das bedeutet, dass niemand durch sein Veto alles blockieren kann. Allerdings sind Abstimmungen selten - meist wird diskutiert und die Entscheidung findet sich schnell, weil alle wissen, was wichtig ist. Außerdem entstehen Dinge auch oft ohne vorherige Absprache: ein Beispiel ist das gemeinsame Abendessen. Niemand legt für den Anderen fest, wer kocht und was gekocht wird, trotzdem ist jeden Abend ein warmes Essen fertig und alle finden sich gemeinsam in der großen Küche zusammen.
Ökologie spielt in der Kulturfabrik ebenso eine große Rolle. Besonders ist die Pflanzenkläranlage, die bessere Werte als herkömmliche Kläranlagen erzielt. Schulklassen und andere Interessierte können den Prozess beobachten. Geheizt wird mit regenerativen Rohstoffen. Die Energieversorgung funktioniert über Solarenergie. Der Einkauf wird nach drei gleichwertigen Kriterien getätigt: regional, saisonal, bio. Durch die dörfliche Lage ist das leicht und schafft einen regionalen Mehrwert und gute Zusammenarbeit in der Region.
Thomas Pilz ist schon immer politisch aktiv und versucht, auch dort eine andere Sprache zu finden, die im Moment sinnentleert und technisch erscheint. Aber es geht bei Politik doch letzendlich immer um Menschen. Wenn er im politischen Kontext z.B. von der Liebe spricht, sind die meisten irritiert. Das gilt es zu ändern, langsam, aber bestimmt.
Wir sprechen über Werte. Für Veronika Kirchmaier ist Sinn essentiell. Niemals könnte sie sich vorstellen, an oder für etwas zu arbeiten, was für sie keinen Sinn macht. Ebenso das Lernen und die Weiterentwicklung ist wichtig für eine Organisation und die Menschen, die darin leben und arbeiten.
Nach dem Interview gehen wir in die große Küche des Hauses, sprechen noch einige Zeit mit den Bewohner:innen und genießen die heimelige und warme Atmosphäre, bevor wir wieder raus in den Regen gehen.
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