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Hafenstube // Weißwasser

Interview: Sebastian Krüger // Hafenstube / Soziokulturelles Zentrum "Telux" Weißwasser /// www.skz-telux.de


Werte: Innovation, Selbstbestimmung, Lernen


Ein Leuchtturm im hohen Norden der Oberlausitz

Nach einem sehr offenen und motivierten Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt Weißwasser kommen wir bei herrlichem Sommerwetter auf dem Gelände der Telux an, schlendern entspannt über den Hof und genießen die wärmenden Sonnenstrahlen. Dann wachen wir aus unserem Traum auf. An jeder Ecke wird gewerkelt; wir gewinnen den Eindruck, in einem „Ameisenhaufen“ gelandet zu sein. Sebastian begrüßt uns freundlich und sein hippes Erscheinungsbild weckt unser Interesse. Er hat Kaffee für alle dabei und wir kommen ins Gespräch.

Sebastian ist in Weißwasser geboren und aufgewachsen, weg gegangen und wiedergekommen. Heute erinnert er sich gern an seine Jugend zurück, die von Konzerten in der „Garage“ in Weißwasser und dem Soziokulturellen Zentrum „Turmvilla“ in Bad Muskau geprägt sind.

2013 entstand die Idee, sich wieder in der alten Heimat zu engagieren. Eine Chance auf eine gute Anstellung war damals aussichtslos und auch keiner in Sicht, mit dem man hätte „es reißen können“, erinnert sich Sebastian. Dennoch lies ihm die Idee, mit verschiedenen Partnern ein Soziokulturelles Zentrum in Weißwasser zu gründen keine Ruhe. Mit Besichtigung der alten Glasmacherfabrik wurde aus der Idee ein Projekt. 2017 eröffnete der studierte Sinologe und Produktdesigner den Veranstaltungsort „Hafenstube“ auf dem Gelände des neu gegründeten Soziokulturellen Zentrums Telux.

Die Basis der Arbeit bietet eine herkömmliche Vereinsstruktur. Doch das wird sich ändern, ist sich Sebastian sicher. Junge Menschen kommen mit neuen Ideen und engagieren sich in den Projekten, wollen aber nicht unbedingt Verantwortung im Verein übernehmen. Neben den klassischen Zweckbetrieben, der Sozialen und Kulturarbeit, gibt es die „Hafenstube“, die vor allem als kommunikatives Zentrum dient, statt „nur“ eine stilvolle Veranstaltungslocation und gemütliche Kneipe ist.

Exkurs „Hafen“: Als Hafen bezeichnet man die Tiegel in einem Ofen, in denen das Glas geschmolzen wird. Die Hafenstube befindet sich tatsächlich in dem Raum, wo früher die Tiegel standen.

Die Hierarchie ist flach und Verantwortungen richten sich im alltäglichen Miteinander vor allem an den anstehenden Aufgaben aus. Zwar gibt es auf dem Papier noch immer festgeschriebene Verantwortliche, vorwiegend ist jedoch die fachliche Expertise entscheidend. Die jeweiligen Kompetenzen bilden somit die Basis für ein vertrauensvolles Miteinander.


Schnell zeigt sich, Sebastian bringt mehr mit, als nur seinen Sinn für die schönen Dinge. Er war im Ausland tätig und hat in verschiedenen Großstädten gearbeitet. Neue Arbeitsweisen sind ihm daher nicht fremd; Vertrauen und Transparenz sind ihm wichtig. Das ermöglicht, dass alle mitgenommen werden und somit Entscheidungen besser verstanden werden.

Zur Kommunikation im Team werden Slack und ein offener Kalender verwendet.

Arbeitszeiten können flexibel eingeteilt werden, denn sie müssen zum Leben passen. „Jeder weiß doch selbst, wie er am besten funktioniert.“, sagt er und schaut uns schmunzelnd an. „Gute Leute wachsen auch in Weißwasser nicht auf den Bäumen. Unsere Veranstaltungen gehen oft bis in die späte Nacht. Wir wissen, dass wir unseren Leuten viel abverlangen.“, ergänzt er.

„Wir wollen optimale Ergebnisse erzielen, das steht im Vordergrund.“

Arbeitszeitnachweise werden eher aus selbstkorrigierenden Gründen geführt, um die Menschen gesund zu halten. Denn wenn man für etwas brennt, läufst du schnell Gefahr auch auszubrennen, weiß Sebastian zu berichten. Eigentlich ist das Team viel zu klein für die vielen Herausforderungen. Das schafft man nur mit viel Leidenschaft und einem Team, was auf sich aufpasst. Somit ist den Mitarbeitenden auch das Instrument der Supervision nicht fremd, sondern gehört zu den arbeitsorganisatorischen Abläufen.

Natürlich gibt es auch feste Termine, die bindend sind, wie das wöchentliche Arbeitstreffen mit allen Mitarbeitenden und Klausuren, die der strategischen Ausrichtung des Vereins und der einzelnen Arbeitsbereiche dienen.

Das Glasmacher-Handwerk hat in Weißwasser eine lange Tradition, die auf dem Gelände noch immer zu spüren ist. Doch ein neues, sehr kreatives Flair breitet sich sukzessive aus. Sebastians Hang zum Design prägt alles was neu entsteht und zieht weitere Gründer:innen an.

Als das Gelände brach lag und die Hoffnung das einzige war, was sich noch zu blühen traute, wurde aus „hier müsste man mal“ ein „hier könnten wir doch“. Erste Ideen entstanden, wie sich das riesige Gelände entwickeln lassen und ein wirkliches Miteinander funktionieren könnte.

„Du musst beides sein; Spezialist aber auch Generalist.“

Beständig versucht er, Ideen und Menschen zusammen zu bringen. Seine Offenheit, den Mut und das branchenübergreifende Denken bringt er aus dem Design Thinking mit. Anscheinend beginnt Innovation tatsächlich, wo jemand sagt: „Das wird doch nichts!“. Die Stadt Weißwasser hat in den letzten 20 Jahren mehr als die Hälfte der Einwohner:innen verloren. Jetzt entsteht im hohen Norden des Landkreises Görlitz ein Leuchtturm. In der „kleine Stadt in der Stadt“, die ein erfolgreiches Beispiel dafür sein will, wie ungenutzte Flächen im ländlichen Raum mit neuen Inhalten gefüllt werden können, sollen sich vor allem Gründer:innen wohlfühlen.

Sebastian will Strukturen schaffen, die co-kreatives Arbeiten ermöglichen. In der Vernetzung zwischen Kultur und Kreativwirtschaft sieht er die Chance, einen Ankerpunkt für Rückkehrende und Neustarter in der Region zu kreieren. Damit betritt auch die Soziokultur eine neue Bühne, die in späten 1960-er Jahren als eine Alternative zum erstarkenden Kapitalismus entstand und sich eher durch soziale Überzeugungen, Kunstschaffen und Kulturproduktionen aus der Mitte der Gesellschaft heraus etablierte. „Die Akteur:innen haben sich verändert. Zwar sind die Soziale Arbeit und die Kunst- und Kulturproduktion noch immer die wesentlichen Pfeiler, aber zunehmend prägen auch Menschen das Bild, die eher aus dem Design oder der Architektur kommen“, sagt er uns und verweist dabei auch auf die Rabryka in Görlitz.



In der kreativwirtschaftlichen Ausrichtung sieht Sebastian die Zukunft Soziokultureller Zentren. Der Erfolg gibt ihm Recht. Erste interessierte Unternehmungen haben die Perle entdeckt und beteiligen sich am Ausbau der alten Produktionshallen. Zukünftig werden auf dem Gelände vielleicht Roboter unsere Häuser bauen und auch das ehrwürdige Glashandwerk könnte sich neuer Technologien bedienen. Gemeinsam mit der tschechischen Firma Pacinek – handmade glass from Bohemia soll im entstehenden Fablab daran experimentiert werden, Glasprodukte im 3D-Druck herzustellen.

Auch wenn er schon einige Male seine Sachen packen und die Region wieder verlassen wollte, ist er dankbar gerade hier und in dieser spannenden Zeit wirken zu dürfen. Für ihn ist die Zukunft nur gestaltbar, wenn neue Wege bestritten werden und nicht nur in klassischen Mustern agiert wird. Das sei in Weißwasser möglich, versichert er uns. Oft hat er es mit Zweiflern und Skeptikern zu tun, aber wenn es gelingt, die Menschen emotional zu berühren, dann ist auch ein Austausch auf rationaler Ebene möglich. Er möchte die Menschen überraschen, ihnen beweisen, dass es doch geht, obwohl viele zweifeln. Vielleicht legt er gerade deshalb so viel Wert auf die Tradition des Ortes, ein klares Design und ein harmonisches Ambiente.


In der Kommunikation sieht Sebastian die größte Herausforderung; gesellschaftlich aber auch im Kontext seiner Arbeit. „Nach draußen muss das Wunder leicht aussehen“, sagt er uns. Oft sind die Gäste erstaunt, dass sich vieles in kurzer Zeit verändert, neue Dinge entstehen. Er ist sich sicher, dass das weitere Akteur:innen anzieht.


Wir sprechen noch über seine Erkenntnisse aus der Corona-Zeit, trinken unseren Kaffee aus und besuchen Kristin und René, die kurz vor der Eröffnung ihres Geschäftes stehen. Es ist ein inspirierendes Gefühl, eine Mischung aus Leichtigkeit, Fleiß und Hoffnung. In Weißwasser scheint das der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Wir kommen wieder. Das steht fest.

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